Ds Eisterliedji (das Eisterliedlein)

  1. In du Eistu ist am leitstu uf der ganzu Wält, ja, ja. Da gits nummu, ja, das weiss mu, grossi Tschugge una Faxe dra.

  2. In du Eistu cha mu nit feistu, wil di Tschugge z'enggi sind. Und we mu welti tanzu, da mu gar keis Plätzji find.

  3. In du Eistu heint d'Meidjä d'meistu Landtüochschirz und Pächschüö a. Und wensch kümmerli afent cheischtu, leuf unt-sch scho du Büobuna.
  1. D'Büobu leufunt na du Geissu, gänt dum Schatzji siessa Ris, Späck und Nidla, ja, das weiss mu, Tifull!, das ist güeti Spis!
  2. An du Tschuggu, o na wärli li hei chunsch da di Hischer üf. Und am Himmel g'seht mu nur äs Stärli, we mu lotzut grad em brüf.

Bemerkungen:

• Ds Eisterliedji, ncht Z' – "Das Lied", nicht "Zum Lied"

• Eister Liedji besser in zwei Worte, wie Walliser Aprikosen

Liedji – Verkleinerungsform (Liedlein): "lein" wird zu "ji"

am leitstu, nicht leidstu – "leit" heisst steil, abschüssig. Nicht "leidlich".


Ds Eisterliedji (das Eister-Lied)

Brief an den Gemeindepräsidenten

Gemeindepräsident

Bruno Andenmatten

3922 Eisten


Spiez, 29.10.2011

Sehr geehrter Herr Andenmatten

Beim Recherchieren auf dem Internet bin ich auf das Fernsehinterview bei rro gestossen. Sie wurden zu Beginn des Interviews darauf angesprochen, warum es in Eisten gemäss des Eisterliedji so leid sei.
 
Letztes Jahr hatte ich mich für das Mattertal interessiert, dieses Jahr lerne ich das Saasertal kennen. Beide Male bin ich auf das Wort "Leid" gestossen und habe hierfür keine befriedigende Erklärung erhalten. Der Flurname "Aroleid" bei Zermatt wird mit dem Leid einer Mutter verbunden. In Eisten scheint das Eisterliedji im seinem Beginn ebenfalls auf ein Leid hinzuweisen.
 
Ich habe nachgeforscht: Es heisst nicht "Leid" sonder "Leit".
 
Im 8. und 9. Jahrhundert drangen althochdeutsch sprechende Siedler in den Alpenraum vor (Innerschweiz, Wallis, Unterrätien). Zu dieser Zeit fand die zweite Lautverschiebung (in den Siedlung- und Gewässernamen) statt: k wurde zu ch, d wurde zu t.
 
In der Schweizerischen Kartographie war es noch bis vor dreissig Jahren üblich, Flurnamen wieder zurück zu deutschen. Es gibt (angeblich) noch alte Walliser Familiennamen, wo das althochdeutsche "t" wieder zu "d" zurück geändert wurde. Ein anderes unschönes Relikte als Namen zurück gedeutscht wurden, findet sich noch am Wegweiser in Asp, wo wir "Stellinen" anstatt "Stellinu" lesen.
 
"Aroleid" bei Zermatt müsste richtigerweise althochdeutsch "Aroleit" heissen. So findet man (angeblich) in alten Eidgenössischen Chroniken noch die richtige Namensform "Aroleit" mit "t" anstatt mit "d".

"Leit" heisst im althochdeutschen "Hang" oder "Halde". Wir, auf der Nordseiteseite des Lötschbergs sagen heute noch: "es gheit leit ueche" oder "es gheit leit ache" – es geht steil hoch bzw. steil runter.
 
Durch das neuzeitliche zurücktauschen von "t" nach "d" wird das Wort heute missverstanden; wir verstehen "Leid" im Sinne von Schmerz oder Trauer anstatt "Leit" im Sinne von Abhang.
 
Besiegelt hat dieses Missverständnis von "Leid" statt "Leit" Goffried Keller mit seinem Gedicht zum Flurnamen "Aroleid" oberhalb von Zermatt, auf dem Weg zur Furi.
 
"In du Eistu ist am leitstu." In Eisten ist es leit. Es ist abschüssig, steil. Gemäss dem Text des Eisterliedjis ist es so steil, dass man kaum Platz zum tanzen findet. Wo ist das Saastal denn steiler oder tiefer eingeschnitten als bei Eisten? In Stalden ist das Tal noch weit und in Saas Balen öffnet es sich dann wieder.
 
Und Leidbach (wohl ursprünglich "Leitbach") liegt auf einem Kamm, wo es beidseits steil bis zum Bach runter geht.
 
Mit dem Wissen um das Althochdeutsche kann man mit guten Gewissen sagen: "In du Eistu ist am leitstu." In Eisten ist's am steilsten.

 

 

So verbleibe ich mit meinen besten Grüssen

PS:

Meine persönliche Webseite www.eremo.ch